„Und wenn Ihr der Kaiser wärt, Ihr müsstet mit dieser vorlieb nehmen. Meine Rechte, obgleich im Kriege nicht unbrauchbar, ist gegen den Druck der Liebe unempfindlich.“ Wie Götz von Berlichingen in diesem Goethe-Zitat, so geht es Millionen moderner Menschen: Prothesen erleichtern ihnen zwar das Leben, aber sie sind immer nur die zweitbeste Lösung.
Eine Kopie der eisernen von-Berlichingen-Hand zeigte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) 2003 in seiner Wanderausstellung „Prothesen von Kopf bis Fuß”. Die Ausstellung, die sich im Spannungsfeld zwischen der tabuisierten Verletzlichkeit des Menschen und der Faszination für die technisch ausgefeilten Prothesen bewegte, zeichnete die Kulturgeschichte der Ersatzteile für den Menschen nach.
Im Krieg konnte der Renaissance-Ritter von Berlichingen seinen rechten Armstumpf tatsächlich dank zweier Ersatzhände gebrauchen: Mit der einen Prothese hielt er die Lanze, mit seiner Zweithand konnte er die Zügel halten. Neben der Kopie der bekannten Ritter-Prothese zeigte die LWL-Ausstellung mehrere originale eiserne Hände aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Gemeinsam mit Objekten wie vorgeschichtlichen Zahnprothesen bildeten sie den kleineren, historischen Teil der Schau. Die meisten der 200 Exponate zeichneten die Entwicklung der Prothesen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert nach.
Die meisten Menschen verschließen zwar vor dem Thema Prothesen die Augen. Doch früher oder später ist ihr Körper auf Ersatzteile angewiesen: Der menschliche Körper besitzt nun einmal nur ein begrenztes Haltbarkeitsdatum, mit fortschreitendem Alter fallen nicht nur Zähne aus, verstopfen Blutgefäße, stumpfen Seh- und Hörsinn ab. Deshalb ist fast jeder irgendwann auf Zahnersatz, Brille oder Hörgerät angewiesen. Viel dramatischer ist die Situation für Menschen, die plötzlich – sei es durch Unfall oder eine Gewalttat – Körperglieder verlieren oder denen eine Krankheit wichtige Organe geraubt hat.
Für sie alle haben Techniker Prothesen von Kopf bis Fuß entwickelt, mit denen sie ihre Handicaps zumindest zum Teil überwinden können. Das Gehirn konnten bisher auch die findigsten Forscher nicht ersetzen. Doch auch die Neurobionik (technische Biologie) macht große Fortschritte. So zeigte die Ausstellung mit dem „Kinetra 7428 Activa“ einen Hirnschrittmacher, der bei schweren Nervenerkrankungen als Stimulator wirkt. Hirn- und Herzschrittmacher zählen neben Gefäßprothesen und Implantaten aus textilen und nichttextilen Fasern zu den Ersatzmitteln im Körperinneren. Zu welchen Leistungen die reparative Chriurgie hier fähig ist, zeigte in der LWL-Ausstellung das anatomische Modell „Charly“ der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung.
Diese futuristisch anmutenden modernen Ersatzteile für den Menschen standen neben Prothesen aus dem 19. Jahrhundert. So behandelten die ersten deutschen Glasaugen den kosmetischen Aspekt der Prothesen. Hörgeräte aus dieser Zeit – wie zum Beispiel ein Doppelkegelhörrohr von 1850 – kontrastierten mit dem Cochlea-Implantat, einer modernen Mehrkanal-Hörprothese für hochgradig schwerhörige und gehörlose Menschen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten immer mehr Kriegsbeschädigte und Versehrte versorgt werden, mit ihnen wuchs auch die Zahl der technischen Lösungen für Arm- und Beinprothesen. Die erste deutsche Sportprothese, mit der der oberschenkelamputierte Gunther Belitz 1989 zum Weitsprung-Gold bei den Paralympics sprang, oder das „C-Leg®“ mit computergesteuertem Kniegelenk, illustrierten die neusten Entwicklungen. Vor allem die Sportprothesen zeigten, wie gut die Betroffenen mit ihrer Behinderung umgehen.
Die Ausstellung stellt der Beklommenheit der Besucher die Innovationskraft des menschlichen Erfindungsgeistes gegenüber: Dem angstvollen Blick auf die Behinderung folgt die Faszination für technische Errungenschaften und so manche verblüffende Lösung.
Vom 30. März bis zum 1. Juni 2003